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schwierig erscheint, sich auf der einen oder anderen Seite
einzureihen, das Wort zu ergreifen und die Stimme der
Bürger hören zu lassen, nicht über Fragen der Klasse, des
Berufsstands, der Gruppe oder der Konfession, sondern
über solche, in denen sich der ganze soziale Körper einig
sein sollte.
In diesem Sinne sind solche Demonstrationen, die
scheinbar nur von Gefühlsreaktionen diktiert werden, wo-
bei die Gefühle derart verallgemeinert sind, daß sie
scheinbar wirkungslos bleiben, als Symptome nicht zu un-
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terschätzen, denn sie sagen uns etwas über das Bedürfnis
der Menschen, sich in der Lösung gemeinsamer Probleme
zusammenzufinden. Eine Botschaft, die sich die politische
Klasse aufmerksam anhören sollte.
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Grundzüge einer Stadtpsychologie:
Dresden
Ich komme gerade aus Dresden zurück. Dresden ist eine
Stadt, die alle Gründe hätte, sich zu beklagen. Glänzende
Hauptstadt Sachsens, von Herder als »Florenz des Nor-
dens« bezeichnet, in einer romantischen Landschaft erster
Klasse gelegen, wurde sie drei Monate vor der Kapitula-
tion Hitlerdeutschlands dem gnadenlosesten konventio-
nellen Bombardement des ganzen Weltkriegs unterzogen.
Ausradiert, und das ohne zwingende Gründe; man wußte
bereits, daß die Russen bald da sein würden, und das
»Dritte Reich« lag schon am Boden. Das geben inzwi-
schen auch die Anglo-Amerikaner zu, die nicht aufhören,
Gewissensbisse und Solidarität zu bekunden.
Aber die Stadt hat, ohne zu vergessen, ihre Trauer ohne
Gejammer, ohne Opfergetue und, man möchte fast sagen:
ohne Groll getragen. Die Dresdner gehen davon aus, daß
man die Geschichte kennt, und zeigen dem Besucher stolz
die wieder aufgebauten Paläste, die Türme, die Kirchen,
die unglaubliche Pinakothek, sie sagen ihm, wie weit im
Jahre 2006, zur Achthundertjahrfeier der Stadt, alles wie-
der hergerichtet sein wird; sogar die scheußlichen Bauten,
die nach dem Krieg schnell hochgezogen worden sind,
werden bis dahin ersetzt sein, und die Barockfassaden, die
Bellotto so genau auf seinen Bildern festgehalten hat,
werden restauriert sein (Bellotto hatte kein so feines Ge-
spür für die Ungreifbarkeit der Atmosphäre wie sein On-
kel Canaletto, aber er war von einem glasklaren Realis-
mus, der es erlaubt hat, auch die Altstadt von Warschau
wieder aufzubauen).
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Die Dresdner fragen einen gar nicht, ob einem die Stadt
gefällt. Sie sagen es einem. Das bringt mich auf den Ge-
danken, daß man die Städte normalerweise in zwei Kate-
gorien einteilen kann: in die selbstsicheren und die ande-
ren. Ich werde hier nur einige der selbstsicheren beim
Namen nennen, möchte jedoch betonen, daß unter den an-
deren auch Hauptstädte sind.
In den selbstsicheren Städten kommt es den Leuten gar
nicht in den Sinn, den Besucher zu fragen, wie er ihre
Stadt findet. Einige verkaufen schamlos ihren Mythos
(»Paris, la ville lumière«  »Quanto sei bella Roma« 
»New York, New York«), aber sie verlangen keine Kon-
sensbekundungen. Sie setzen stillschweigend voraus, daß
man überwältigt ist, und wenn nicht, hat man eben Pech
gehabt. Andere, zum Beispiel London, Mailand oder Am-
sterdam, legen einem zwar den Prospekt oder den Führer
mit den Sehenswürdigkeiten ins Hotelzimmer, reden aber
nicht viel von sich und sind jedenfalls nicht an den Mei-
nungen ihrer Besucher interessiert. Eine Kategorie für sich
sind die Bewohner von Buenos Aires: Spät in der Nacht
befragen sie sich und einander nach der argentinischen
Identität, aber das ist ein nationales Spiel; daß »Buenos
Aires querido« zum Verlieben ist, haben sie nie in Zweifel
gezogen.
In Italien bezeichnet sich eine Stadt, wenn es ihr an
Selbstvertrauen gebricht, bei öffentlichen Gelegenheiten
als »nobilissima città«, also eine Stadt von ältestem 
sprich antikem  Adel. Es liegt auf der Hand, daß alle ita-
lienischen Städte, so wenige Jahrhunderte sie auch erst alt
sein mögen (außer den erst vor ein paar Jahrzehnten ge-
bauten), antiken Ursprungs sind, aber die komplexbelade-
nen haben das Bedürfnis, es ausdrücklich zu sagen. Im
allgemeinen jedoch  und dies gilt überall in der Welt 
erkennt man mangelndes Selbstvertrauen daran, daß einem
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sofort bei der Ankunft die Frage gestellt wird: »Was den-
ken Sie über unsere Stadt?«
Mir ist es passiert, daß ich bei der Ankunft in sehr kom-
plexbeladenen Städten auf dem Flugplatz von Journalisten
umringt wurde, und die erste Frage war: »Kommen Sie
zum erstenmal her? Was denken Sie über unsere Stadt?« [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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