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das Gelöbnis nicht leiten würde. Treue geloben würde ich
allein Gott und nicht einem Stück Stoff.
Meine Lehrer und die Mitschüler waren völlig verblüfft.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war
es. Es war einfach unglaublich! Der Kalte Krieg war gerade
auf seinem Höhepunkt und McCarthy trieb sein Unwesen.
Jeder, der irgendwie aus der Reihe tanzte, wurde direkt
verdächtigt, den Kommunisten zuzuarbeiten, und galt als
Verräter. In Washington waren die Verhöre des berüchtigten
Senatsausschusses zur „Untersuchung unamerikanischer
Umtriebe“ in vollem Gange.
Im weiteren Verlauf dieses Morgens wurde ich zum Rektor
gerufen und musste vor die versammelte Lehrerschaft treten,
um mein Vorgehen zu erklären. Erst waren alle vollkommen
geschockt, aber als ich meinen Standpunkt darlegte und
erklärte, dass ich nicht aus Ungehorsam so gehandelt hatte,
sondern weil ich der Meinung war, dass es wichtiger ist, nach
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seiner Überzeugung zu handeln als eine „patriotische“
Zeremonie anzuleiten, zeigte man Verständnis.
Meine Eltern waren natürlich überrascht, als ich ihnen
nach der Schule alles erzählte, aber sie unterstützten meine
Haltung. Für meinen Vater war die Sache klar: Wenn man
nicht nach seinen eigenen Überzeugungen lebt, kann man
nicht in Frieden leben, und wenn man damit Anstoß erregt,
dann ist das eben so. Das ist allemal besser, als sich
zurückzulehnen und so zu tun, als sei alles in bester Ordnung.
John Winter, ein älterer Herr aus England, den ich schon seit
meiner Jugend kenne, schrieb mir kürzlich, dass die
fruchtbarsten Abschnitte in seinem Leben jene waren, die er
mit festem Entschluss und dem Willen, diesen Entschluss
unter allen Umständen umzusetzen, angegangen ist:
Mit 16 bin ich von der Schule abgegangen und habe anschließend
im Labor einer Firma gearbeitet, in der Bleirohre und Farben
hergestellt wurden. Abends fuhr ich nach London, um dort auf
dem Abendcolleg einen wissenschaftlichen Abschluss zu machen.
Mit 19 musste ich mich zum Militärdienst melden, aber weil ich
die Grausamkeiten des Krieges nicht unterstützen wollte,
entschloss ich mich, den Kriegsdienst zu verweigern. Als ich
meinem Chef das erzählte, sagte er mir, dass die Firma gerade im
Begriff war, von der Rohr- und Farbherstellung auf die Produktion
von Munition umzurüsten und meine Haltung mit der der Firma
schwer in Einklang zu bringen sei. Ich war vollkommen vor den
Kopf gestoßen. Ich erinnere mich an jenes Wochenende damals,
als wäre es gestern gewesen, die vielen Stunden, in denen ich mir
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das Hirn zermarterte, was ich jetzt tun sollte. Wenn ich aufrichtig
wäre, könnte ich meinen Job nicht mehr weitermachen. Aber
wegzugehen schien mir auch unvorstellbar.
Ein Freund von mir hatte zu der Zeit gerade das gleiche Problem.
Aber weil er keine gute Grundlage für seine Kriegsdienstver-
weigerung fand, änderte er schließlich seine Meinung und ging
zur Luftwaffe.
Dieses Wochenende, an dem ich entscheiden musste, ob ich
meinen Ansichten über den Krieg treu blieb und auch danach
handeln sollte oder weiter ein normales Leben führen wollte, war
für mich entscheidend. Es bereitete mir einige schlaflose Stunden,
aber schließlich wusste ich, dass ich meinen Job aufgeben musste.
Heute wirkt diese Entscheidung nicht gerade wie eine große
Sache, aber für mich war sie es damals. Ich denke, es war das erste
Mal, dass ich eine Entscheidung treffen musste zwischen dem,
was ich wollte, und dem, was mein Gewissen mir riet. Jetzt, 58
Jahre danach, kann ich sagen, dass ich, nachdem ich mich
entschieden hatte, plötzlich einen tiefen, unerschütterlichen
Frieden empfand. Immer wieder, wenn mich seither mein
Gewissen zu einem Schritt gedrängt hat, den ich zunächst erst
einmal gar nicht machen wollte, musste ich daran denken. Jedes
Mal bin ich meinem Gewissen gefolgt, und das hat mir zu meinem
inneren Frieden verholfen.
Auf der anderen Seite habe ich gelernt: Wenn man einen Ruf
hört und ihm nicht folgt, verändert es einen im Innern und man
hört den nächsten Ruf, der kommt, nicht mehr so deutlich, oder
er kommt erst gar kein zweites Mal.
Nachdem ich gekündigt hatte, war ich monatelang arbeitslos.
Ich suchte nach Arbeit, die nichts mit dem Krieg zu tun hatte,
aber es gab keine, zumindest nicht in dem Bereich, für den ich
ausgebildet war.
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Zum Nichtstun verurteilt zu sein ist schrecklich. Und ich kriegte
nicht einmal einen Büro- oder Verkaufsjob. Aber trotzdem war
ich mit meiner Entscheidung zufrieden.
Jeder kennt Menschen, die – anders als John – keinen Frieden
für sich finden, weil sie zu ihren Entscheidungen nicht stehen
können. Sie sind wie ein Segelboot ohne Kiel, das bei der
leichtesten Böe umkippt, und erreichen ihr angestrebtes Ziel
nur mit größter Mühe. Und manche erreichen es nie, sondern
scheitern schon bei dem Versuch, sich zu entscheiden, was sie
als Nächstes tun sollen. Ich kenne Menschen, bei denen eine
solch lähmende Unentschlossenheit zu schwerem gefühlsmäs-
sigen Ungleichgewicht geführt hat.
Frieden erreicht man mit Entschlossenheit. Das Leben
wimmelt nur so von Einflüssen, guten und weniger guten, die
um unsere Aufmerksamkeit werben. Wenn wir unent-
schlossen sind, welchen Kurs wir in unserem Leben einschlagen
wollen, dann riskieren wir, dass es uns in alle möglichen
Richtungen treibt. Natürlich ist Entschlussfreude allein
wertlos, solange es an der Bereitschaft fehlt, die Veränderungen,
die sie mit sich bringt, anzunehmen und die Konsequenzen
zu tragen. Das umfasst alle Bereiche des Lebens: die
Bereitschaft zu vergeben, was nicht vergeben werden kann,
sich an das zu erinnern, was wir lieber ganz schnell vergessen
würden, und das zu vergessen, woran wir uns gerne erinnern.
Es gehört die Bereitschaft dazu, zu lieben, wo wir vorher
gehasst haben, dorthin zu gehen, wo wir nicht hin wollen und
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zu warten, wenn man uns vergessen hat. Bereitschaft zur
Veränderung heißt auch nach vorne zu schauen und nicht
nach hinten, unter die Vergangenheit einen Strich zu ziehen
und sich hoffnungsvoll der Zukunft zuzuwenden. In letzter
Konsequenz heißt es, bereit zu sein, alles zu geben, auch das
eigene Leben.
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Das Leben wählen
Geh nicht gelassen in die gute Nacht,
Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht.
Dylan Thomas
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Sophie Scholl wurde 1943 wegen ihrer Zugehörigkeit zur
Weißen Rose, einer Widerstandsgruppe Münchner Studenten,
die Flugblätter gegen das Nazi-Regime verfasste, druckte und
verteilte, enthauptet. Sophie Scholl war kein gewöhnliches
21-jähriges Mädchen, auch keine gewöhnliche politische
Aktivistin. In dem Buch Die Weiße Rose erinnert sich ihre
Schwester Inge Scholl an die ungewöhnliche innere Ruhe, die
Sophie begleitete und ihr Kraft gab.
Ihr Bruder Hans war Gründer und aktivstes Mitglied der
Weißen Rose. Als Sophie davon erfuhr, spürte sie: Die Weiße
Rose war eine einsame Stimme, die für die Wahrheit eintrat;
wenn sie diese Stimme nicht unterstützte, würde sie
wahrscheinlich bald in den Lügen und dem lauten
Propagandagebrüll der Nazis untergehen. Daher setzte sie
ihre ganze Energie in diese Sache.
Einige Jahre zuvor hatten Hans und Sophie Scholl als
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